THE JOURNEY OF MAL SINGH – 1

“The Journey of Mal Singh – eine gestickte Reiseskizze”

Rumal 130 cm x 130 cm, handgestickt Mumbai-Indien; Weg von Ferozpur – Somme – Wünsdorf

Der Weg der indischen Soldaten ist kaum dokumentiert. Eigene Aufzeichnungen über die Reise nach Europa sind selten, oder ihnen wurde, wie im Falle der Sprachaufzeichnungen im Lager, keine Beachtung beigemessen. Der Großteil der Soldaten, die zu den Kriegsschauplätzen verschifft wurden, entstammt der unteren Kaste. Die obere Kaste wurde nicht verpflichtet, in den Krieg zu ziehen.
Wurden die Soldaten auf den Weg nach Europa vorbereitet?
Was waren ihre Vorstellungen, ihre Erwartungen?
Mehr als eine Million indischer Soldaten waren in einen europäischen Krieg involviert. Einen Krieg, ausgelöst durch europäische Monarchien, die anmaßend gegenüber allem „Nichteuropäischen“ waren.
Die Empfindungen und Gedanken der Soldaten galten wenig. Das Herauslösen aus dem sozialen Umfeld und Kulturkreis muss sich nachhaltig als tiefe seelische Belastung manifestiert haben. Allein die wochenlange Passage mit dem Schiff, die Menschen zusammengedrängt auf engem Raum, voller Angst, versenkt zu werden, deutet auf kaum vorstellbare Zustände hin. Was geschah im Todesfall? Konnten die Riten entsprechend dem religiösen Zeremoniell durchgeführt werden? Was, wenn nicht? Die „doppelte Sklaverei“ der Soldaten endete für 70.000 Inder mit dem Tod.


Stereoskopie Luftbild Somme mit Laufgräben und Granattrichtern

Das Wünsdorfer Kriegsgefangenenlager ist in Bezug auf die wissenschaftlichen Untersuchungen und die propagandistischen Maßnahmen einzigartig. Zwar gab es auch in anderen Lagern Untersuchungen an Kolonialsoldaten, wie beispielsweise in Heidelberg, doch sind diese, gemessen an Dauer und Anzahl, in keinem anderen Lager so intensiv betrieben worden.
Die Art und Weise des Umgangs mit den internierten Soldaten entspricht einer imperialen Praxis, die für eine typisch europäische, koloniale Auffassung steht. Die vielen beteiligten Akteure, ausgehend vom Auswärtigen Amt über die NfO usw., schufen eine passende Umgebung, fast wie eine „Versuchsanordnung“, und somit „ideale Bedingungen“ für die geplanten „Experimente“. Die hohe Anzahl der Tonaufnahmen, die in Wünsdorf entstanden, sind Ergebnis einer kolonialen Machtposition bei Überschreitung von kulturellen, religiösen, sozialen Grenzen. Die Art und Weise des Umgangs mit internierten Menschen, die Vermessung und Beschreibung dieser Menschen ebenso wie die Idee, eine „Rasse“ zu definieren, sind äußerst fragwürdig und implizieren die Überlegenheit einer Rasse (der erforschenden) gegenüber der anderen (der erforschten). Durch wissenschaftliche Einsichten ist dies längst widerlegt. Inzwischen weiß man, dass das äußere Erscheinungsbild eines Menschen (Hautfarbe etc.) keinerlei Zusammenhang mit Kompetenzen des Individuums aufweist und somit, abgesehen von einer Option zur oberflächlichen Deskription einer Person, eine irrelevante Information ist. Es gab zahlreiche Wissenschaftler, die Interesse hatten, die 1866 veröffentlichte Vererbungslehre des Pastors und Hobbygärtners Gregor Johann Mendel (Gregor Mendel; Versuche über Pflanzenhybriden. Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn, Bd. IV, S. 3-7; 1866) im Sinne einer Rassentheorie zu bestätigen. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass die Mendel’schen Regeln an Erbsen bewiesen wurden und sich nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen lassen.
Experimente an Menschen und daraus resultierende Schlussfolgerungen waren Vorläufer der späteren nationalsozialistischen pseudowissenschaftlichen Rassentheorien. Die geschilderten Entwicklungen sollten sich während der Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland in noch größerem Ausmaß und „konsequenterer“ Umsetzung wiederholen. Die Beurteilung der psychischen, intellektuellen und moralischen Eigenschaften eines Menschen anhand von physischen Merkmalen diente den „Herrenmenschen“ dazu, über den „Wert“ von Menschen und damit deren Existenzrecht zu befinden. Nach dem Ersten Weltkrieg, vor dem Hintergrund seiner sozialen und wirtschaftlichen Folgen, erreichte die Diskussion ihren Höhepunkt. Stattdessen führte die „Klassifizierung“ unter dem Deckmantel der Wissenschaft zum systematischen Massenmord an psychisch kranken und geistig behinderten Patienten von Heil- und Pflegeanstalten sowie an Menschen mit körperlichen Behinderungen, chronischen Krankheiten, an „unangepassten“ Bürgern und an Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen als „minderwertig“ angesehen wurden. Mit Begriffen wie „leere Menschenhüllen“ und „Ballastexistenzen“ wurde in verschiedensten Tötungsprogrammen „argumentiert“, in deren Verlauf im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten insgesamt etwa 300.000 Menschen ermordet wurden.